Eindrücke einer Exkursions-Rundreise in Tansania (September 2024)

Es ist Nachmittag und eine kühlende Brise geht über die Dächer Stone Towns. Wir sitzen mit 22 Studierenden auf der Dachterrasse unseres Hotels und tauschen uns aus über die ersten Eindrücke, die auf einer Stadtrallye durch Sansibars Altstadt gesammelt wurden. Es ist Tag 1 unserer Exkursion, die uns in den kommenden zwei Wochen über Sansibars Archipel auf das nördliche Festland führen wird, hoch in die östlichen Usambara-Berge, in Tansanias Wirtschaftszentrum Daressalam und zurück nach Sansibar.


Erstmal tauchen wir jedoch mit Dr. Said el-Gheity in die bewegte multikulturelle Geschichte Sansibars ein. Der Historiker, der uns in seinem liebevoll kuratierten Museum begrüßt, gibt uns einen Eindruck davon, wie sich die Insel als Handelszentrum im Indischen Ozean etablierte und durch die omanische und britische Kolonialzeit und den sich anschließenden Sozialismus geprägt wurde. Er erklärt uns, mit welche Herausforderungen das UNESCO-Weltkulturerbe Stone Town zu kämpfen hat und wie die Instandhaltung der historischen Architektur gelingen kann.
Nur zwei Tage nach unserer Ankunft in Stone Town schauen wir schaukelnd und mit noch müden Augen auf das funkelnde Wasser. Es ist noch früh und wir sitzen bereits in der Fähre, die uns zur nördlicheren Insel Pemba bringt. Dort angekommen gewinnen wir während der mehrstündigen Überlandfahrt einen Eindruck von der Insel. Es ist spürbar, dass der Tourismus hier bei weitem noch nicht im selben Ausmaß angekommen ist. Die nächsten zwei Tage beschäftigen wir uns mit dem Naturschutz der marinen Ökosysteme. Dafür schauen wir uns verschiedene Ansätze an: Einerseits besuchen wir Misali Island, eine vorgelagerte Insel in Küstennähe, die seit den 80er-Jahren unter Naturschutz steht, und lernen dort über die Arbeit der Ranger, die vornehmlich aus der Durchsetzung von Vorschriften und Kontrollen besteht. Einen anderen Ansatz verfolgt das im Norden der Insel verortete Manta Resort, das im Rahmen einer Public Private Partnership und in Zusammenarbeit mit den lokalen Fischern Konzepte entwickelt, wie die Natur geschützt werden kann und gleichzeitig Zugänge zu nationalen Märkten hergestellt werden kann.


Eine weitere Fährfahrt später finden wir uns auf tansanischem Festland wieder, in der Küstenstadt Tanga, die unter deutscher Kolonialzeit ein wichtiges Handels- und Verwaltungszentrum darstellte. Hier lernen wir durch Dr. Wallace Karata über ein im Land einmaliges Methadon-Programm, dass Heroinabhängigen wieder zu einer Rückkehr in ein geregeltes Leben verhilft. An einem anderen Tag werden wir herzlich empfangen von Tanga Yetu. Diese von einer Schweizer Stiftung finanzierte Initiative hat sich zum Ziel gesetzt Stadtentwicklung und Bildung für Kinder und Jugendliche in der Stadt voranzutreiben. Wir besichtigen Projekte, die von Jugendlichen getragen und umgesetzt werden und im ganzen Stadtraum verteilt sind. So werden wir über Felder geführt, die von angehenden Agrar-Unternehmer:innen bewirtschaftet werden, besichtigen eine Krabbenfarm, lernen im STEM-Park spielerisch über die Gesetze der Physik und lassen uns im sog. Fablab von den Ideen der dort tüftelnden Schüler:innen begeistern.
Unsere Reise führt uns weiter in die östlichen Usambara-Berge – für die damaligen deutschen Besatzer ein Refugium, in dem sie dem tropischen Klima der Küste eine Zeit lang entfliehen konnten. Wir staunen angesichts der atemberaubenden Natur. Allerdings hat die einzigartige Ökologie in den letzten Jahrzenten unter Siedlungsdruck, Ausdehnung der Landwirtschaft, Abholzung und Goldgräberei gelitten. Vergangene Wiederaufforstungsmaßnahmen verfehlten ihren Zweck, denn man setzte auf plantagenartig gepflanzte Monokultur-Wälder. Die NGO Forest Focus versucht diese Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Nach dem Prinzip der Agroforstwirtschaft soll einerseits durch Vermittlung von landwirtschaftlichen Bewirtschaftungstechniken der Landverbrauch reduziert werden. Andererseits wird mittels Gewürzpflanzen/-bäumen wieder aufgeforstet und damit weitere Einnahmequelle geschaffen.


Wir verlassen die Abgeschiedenheit der Usambara-Berge und tauchen ein in den urbanen Dschungel Daressalams. Hier begrüßt uns der Historiker Dr. Frank Edward auf dem Campus der Universität von Daressalam und gibt uns eine Einführung in die zeitliche Abfolge der kolonialen Stadtentwicklung Daressalams, deren Spuren bis heute sichtbar sind und fortleben. Dies wird auch bei einer Kartierung von Kariakoo in Kleingruppen ersichtlich – einem Stadtteil in der ehemaligen afrikanischen Zone, der als zentrales Handelsviertel seit Jahren einer großen baulichen Dynamik unterliegt. Im Kontrast zum trubeligen Kariakoo fühlen wir uns in Msasani Bay wie in einer anderen Stadt. Hier kommen wir in Berührung mit der Lebenswelt einer wachsenden Mittelschicht, die einen zunehmend westlichen Lebensstil samt Konsumverhalten pflegt.
Ein wenig später verschwindet die Stadtkulisse Daressalams bereits wieder langsam im Dunst, als wir ein letztes Mal auf einer Fähre sitzen. Es geht zurück nach Sansibar. Während wir uns in den ersten beiden Tagen nach Ankunft vor allem mit den Entwicklungen der historischen Altstadt Stone Town beschäftigt haben, bewegen wir uns nun im größeren Einzugsgebiet von Sansibar-Stadt. Wir schlagen auf bei 1001 Organic, einem social enterprise, das sich zum Ziel gesetzt hat mit der Produktion bio-zertifizierter Gewürze die Lebensgrundlage von Kleinbäuer:innen zu verbessern. Auf dem Betriebsgelände lernen wir über die Wertschöpfungsketten der verschiedenen Gewürze und von den bürokratischen und logistischen Herausforderungen der Bio-Zertifizierung. An einem anderen Tag besuchen wir erst die sansibarische Land Commission, die uns einen Einblick in die raumplanerischen Herausforderungen der Insel gibt. Im Anschluss besuchen wir mit der Konzeptstadt Fumba Town ein Projekt, das schon seit mehreren Jahren an möglichen Alternativen des Wohnens auf Sansibar arbeitet und dabei auf ökologische Bauweise und einen kulturellen Wandel setzt.


Wir packen ein letztes Mal unsere Sachen und verlassen Sansibar-Stadt in Richtung Ostküste. In Paje – beliebt bei Touristen für seine Sandstrände und starken Winde, die zum Kitesurfen einladen – beschäftigen wir uns die letzten beiden Tage mit den Auswirkungen des Tourismus auf das ehemalige Fischerdorf und mögliche Konflikte zwischen Touristen und der lokalen Bevölkerung. Einmal mehr kartieren die Studierenden den Ort in Kleingruppen und tauschen sich über ihre Beobachtungen aus. Unser letzter Besuch führt uns schließlich ins Mwani Seaweed Center, einer Frauenkooperative, die Seegras anbaut und erntet und daraus Kosmetika wie Seifen und Öle herstellt.
Was bleibt von der Exkursion? Wo sehen wir Überschneidungen zwischen den vielen Eindrücken, die wir die letzten beiden Wochen an unterschiedlichsten Orten gesammelt haben? Diese Fragen stellen wir uns oft während der Exkursion, ob in kleinen Gesprächen oder in großer Runde, die wir regelmäßig abhalten, um über unsere Erfahrungen zu reflektieren. Was sich geformt hat ist ein Bewusstsein für die Vielschichtigkeit und Komplexität der Themen vor Ort, was es bedeutet, wenn staatliche Strukturen schwach sind, das Bildungsniveau niedrig ist, Infrastrukturen erst entstehen und die Anbindung an Weltmärkte oder Kapital hinkt. Vor dem Hintergrund empfinden wir es als auffällig, wie Akteure gegenwärtig versuchen Entwicklung und Ökonomie zusammen zu denken, um im Kleinen Strukturen zu schaffen, die Wertschöpfung im Land verankern.

