Tansania notes from the field #2
“Die Krankheit der Reichen und Weißen”
Anfang Februar ging es für mich das vierte Mal nach Tansania, um dort für meine Doktorarbeit im Rahmen des Projektes CRC „Future Rural Africa“ empirisch zu digitalen Informationsdiensten in ländlichen Gebieten zu forschen. Ich freute mich auf die straff durchgeplanten zwei Monate, die vor mir lagen, auch weil ich so den Wintermonaten in Deutschland entfliehen konnte. Von einer Pandemie war hier noch keine Rede. Und in Tansania blieb das weitestgehend auch so. Natürlich habe ich über Freunde, Familie und Kolleg*innen mitbekommen, wie sich die Situation global entwickelte, aber Tansania blieb ruhig. Man konnte dort niemanden testen und somit gab es auch keine Infizierten. Viele Geschichten kamen darüber auf, warum Afrika verschont blieb:
„Über 25 Grad Celsius kann sich das Virus nicht mehr ausbreiten.“
„Wir hatten Ebola, ihr habt dafür Corona!“
„Nur Reiche und Weiße bekommen Corona!“
Gerade letzteres hält sich hartnäckig, denn selbst nach der Diagnose von einigen wenigen Infizierten in Tansania, stellte sich heraus, dass dies entweder Tourist*innen waren oder die weitgereiste, tansanische Elite. Nichtsdestotrotz wurden in einer Hauruck-Aktion alle Schulen und Universitäten geschlossen und der Verkehr kollabierte, da über Nacht alle Internatsschüler*innen und Studierende in ihre Heimat zurück mussten. Versammlungsverbot, Desinfektionsmittel vor jedem Gebäude oder öffentlichen Verkehrsmittel, Lautsprecherwagen fuhren durch die Straßen und erklärten, was Corona ist, mein Mobilfunkanbieter schickte mir SMS und erklärte mir, was ich jetzt beachten müsse, falls ich mehr erfahren wolle, könnte ich das über USSD-Abfragen. Es wurden Corona-Lieder verfasst und mit viel Gelächter zur Begrüßung Füße, Fäuste und Ellbogen gegeben.
Meine Arbeit sollte ich zunächst abbrechen, da die Organisation vor Ort Angst hatte, dass mir etwas zustoßen würde. Gerade in den Dörfern hätten die Bauern, mit denen ich sprechen wollte, sehr viel Angst vor Weißen und deren Reaktionen auf mich schienen unberechenbar. In einem kenianischen Dorf hätten sie einen Weißen schon umgebracht, vor lauter Angst vor dem Virus. Auch auf der Straße rief man mich nun nicht mehr „Weiße“, sondern „Corona“ – auch mal eine amüsante Abwechslung. Die ausgedehnte Angst vor Weißen ist nur die Spitze des Eisbergs an Verschwörungstheorien, die nun kursierten und die Welt in den tansanischen Köpfen in eine neue Ordnung rückten. Nach einigen Tagen und unter ständiger Begleitung konnte ich meine Arbeit jedoch wieder aufnehmen. Solange ich weiterarbeiten konnte, die offizielle Fallzahl niedrig blieb und die Pandemie eine unwirkliche Gruselgeschichte der Medien blieb, fühlte ich mich in Tansania sehr sicher. Doch dann wurde Stück für Stück der Flugverkehr bestimmter Airlines eingestellt, auch mein Flug wurde gecancelt. Und dann möchte man doch gar nicht so gerne in der Ferne bleiben müssen, wenn die Welt auf dem Kopf steht. Informationen darüber, welche Airline zuverlässig zu sein schien, waren schwer zu erlangen. In dieser Situation haben sich die Mails der deutschen Botschaft als sehr hilfreich herausgestellt, um ein Ticket bei der letzten Airline, die noch operierte, zu ergattern. Doch wie? Meine Reiseagentur antwortete nur noch mit automatischen Emails der Überforderung, von Online-Käufen wurde abgeraten, da die Systeme unzuverlässig waren, und ich saß tagaus tagein in einem Dorf und redete mit Bauern. Ein paar Touristen konnten durch die Rückholaktion des Auswertigen Amtes Sitzplätze in Fliegern erlangen, doch die gingen relativ kurzfristig und bevorzugten zunächst gestrandete Familien. Letzten Endes besorgte mir ein Masterstudent, der auch während seiner Forschung für seine Abschlussarbeit auf Sansibar festsaß, eines der letzten sündhaft teuren Tickets. Auch wenn die Rückreise eine Zitterpartie bis zur letzten Minute blieb, da man sich kaum in Sicherheit wiegen konnte, dass nicht doch noch ein Flug abgesagt werden würde, so war dennoch klar, dass der eigentliche Ausnahmezustand doch in Deutschland auf mich warten würde, wo ich vor einer Woche an einem entvölkerten Flughafen gelandet bin.